Über die wundersamen Verkleidungen meiner Angst

Ich bin ein sehr, sehr ängstlicher Mensch. Und ich hatte jahrzehntelang keine Ahnung, dass das so ist. Von aussen betrachtet, würde das wohl kaum jemand vermuten. Meine „Tarnung“ sass perfekt.

Um alles, was mir widerfahren ist von mir wegzuhalten und irgendwie zu überleben, habe ich zeitig gelernt meinen Körper von meinem Kopf zu trennen. Zusätzlich hatte ich noch eine dicke Decke aus Taubheit drüber gezogen, damit auch wirklich nichts durchkommt. Fühlen ging gar nicht.

Das heisst, ich hatte selbstverständlich keine Ahnung, was in mir drin los ist. Wenn ich denn mal entspannt habe und sich Tür nach Innen geöffnet hat, hab ich sie mit einem lauten Knall sofort wieder verschlossen. Es fühlte sich an, wie auf eine heisse Herdplatte zu fassen.

So zugemauert hätte ich wahrscheinlich mein gesamtes Leben verbracht. Aber irgendwer hat mich so verdrahtet, dass Verdrängen und Wegschieben nicht dauerhaft ging. 

Ich hab mir Hilfe gesucht. 

Das Erste, was ich „abgeben“ musste, war meine Taubheit. Spätestens jetzt gab es keinen Zweifel mehr, wer in mir das Sagen hat – meine Angst. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand die Haut abgezogen. Ich war roh und ungeschützt.

Gern würde ich sagen, dass ich immer voll kooperiert und mitgearbeitet habe. Es wäre eine Lüge. Ich habe lange und ausdauernd gekämpft, gegen meinen Therapeuten.

Jeder hat  Stressreaktionen, die er bevorzugt, kämpfen, flüchten, anpassen oder erstarren. Für mich war es Kampf oder Starre. Diese Reaktionen entstehen als Antwort auf Situationen, die so überfordernd sind, dass es keinen anderen Ausweg gibt. Meist passiert das gar ganz früh in unserem Leben. 

In dem Moment als ich entschieden habe hinzusehen, kam ich in Kontakt mit meiner Vergangenheit und verwandelte mich blitzschnell in die  völlig verwirrt und traumatisierte Vierjährige.

Angst war für mich kein Gefühl. Es war ein Lebenszustand. Und in meinem unmittelbaren Umfeld liefen alle auf Angst.

Ich hab viel Zeit damit verbracht zu lernen, wie Angst für mich aussieht. Mal kam sie als Wut daher, mal als Traurigkeit oder als Gefühl der Leere und Nichtzugehörigkeit.

Ich hab für mich verstanden, dass die Angst nicht verschwindet, wenn ich gegen sie ankämpfe oder vor ihr wegrenne. Wenn ich hingegen stehen bleibe, mich umdrehe und sie anschaue – dann wird sie weniger. 

Kann sein, dass das für dich wie etwas klingt, das du in tausend kalten Wintern nicht tun würdest. Ich hatte das auch nie vor. Aber ich hatte ja ausreichend Zeit mich zu beobachten, zu sehen, was mein Verhalten bringt – nichts.

Irgendwann wurde ich wütend – auf mich. Ich hatte genug von meinem Bullshit und war bereit mit der Angst zu arbeiten, sie anzuschauen, auszuhalten und ihr manchmal auch nachzugeben. Perfektion gibts nur im Märchen. Du stehst jeden Tag neu auf und siehst was geht oder eben nicht. Das kann dir niemand abnehmen, keine Pille, keine Methode und kein Mensch.

Und wohlgemerkt, ich hab nichts gegen Medikamente.

Was ich damit sagen will: diese Prozesse brauchen Zeit, Geduld, Nachsicht, Mitgefühl und sehr, sehr viel Sanftheit dir selbst gegenüber.

Gib nicht auf! Du schaffst das.

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