Stell dir vor es ist Sommer, die Hitze drückt, und du sehnst dich nach einem kühlen Ort.
Ich war als Notärztin unterwegs und wurde zu einer Frau mit Kreislaufschwierigkeiten gerufen. Wir gingen ins Haus. Das war schön kühl, aber wahnsinnig dunkel. Alle Rollläden waren unten und das seit Jahren. Das fand ich dann schon ein bisschen eigenartig und hab gefragt warum.
Es stellte sich heraus, der Mann der Patientin war vor 10 Jahren gestorben, und sie verharrte seitdem in einer Art Starre. Die ganze Familie, die Töchter und Enkelkinder, alle hatten über die Zeit irgendwelche Beschwerden entwickelt und das Thema, der Tod des Vaters/ Ehemanns, über das nicht gesprochen werden durfte, breitete sich überall aus und erfüllte auch die letzte Ritze des Hauses. Die Dinge, die wir nicht sehen oder fühlen wollen, haben eine gefährliche Macht über uns. Und sie machen sich immer bemerkbar . Nichts geht einfach weg, bloss weil wir uns damit nicht auseinandersetzen wollen.
Meine Patientin war nicht bereit ihren Mann loszulassen aus Angst vor der Trauer und vielleicht auch vor dem Leben. Denn, ob wir wollen oder nicht, es geht ja weiter. Wir entscheiden, ob wir leben oder still halten und das Leben an uns vorüber ziehen lassen. Sie hatte sich für Letzteres entschieden.
Ein anderer Fall: Vor mir ein verzweifelter Mann nicht mehr ein noch aus wissend, aufgedreht, unruhig. Er war in eine schwierige Beziehung verstrickt und hatte vergessen, was er eigentlich wollte und wer sein Lebensmittelpunkt ist – er selbst. Seine Partnerin hatte ihn verlassen. Das war nicht das erste Mal und trotzdem tat es unglaublich weh.
Ich hab ihn gebeten, die Augen zu schliessen, mit mir im Geiste auf eine grüne Wiese zu gehen und seine Partnerin dazuzurufen. Dann sollte er ihr sagen, dass es für ihn in Ordnung ist, wenn sie geht und nicht zurückkommt.
Er war ziemlich erstaunt über seine eigene Reaktion. Er fühlte sich plötzlich frei und war erleichtert. Ohne darüber nachzudenken, hat er das gemacht, wovor er die meiste Angst hatte. Er hat losgelassen.
In jedem von uns steckt ein bisschen Controlletti, in dem einen mehr und dem anderen weniger. Es halt schwer, darauf zu vertrauen, dass es das Leben gut mit uns meint. Wir versuchen mit eiskalter Logik und festem Griff die Dinge in unserem Sinne zu richten.
Wir kontrollieren die Ereignisse und Menschen um uns rum, weil es uns ein Gefühl von Sicherheit gibt. Wir meinen, wenn wir wissen, wie etwas ausgeht, können wir uns eher darauf einlassen. Nur funktioniert das leider so nicht. Das Einlassen ist eine Funktion des Herzens. Mache ich mein Herz weit auf und lade die Möglichkeiten ein, meine ich natürliche ALLE Möglichkeiten, auch die, vor denen ich Angst habe. Die Angst und der Schatten gehen da Hand in Hand und binden wahnsinnig viel Energie. Sage ich aber „Es darf sein.“ Dann mache ich den Weg frei und lasse den Dingen und den Menschen ihren ganz eigenen individuellen Lauf. Und, oh Wunder, oft geht das dann besser, als wir es uns vorstellen konnten.
Ich kenne das nur zu gut aus meinem eigenen Erleben. Wieder und wieder wurde ich eines Besseren belehrt. Vertrauen in mich selbst und in das Leben habe ich mir erarbeitet. Heute bin ich ein abstinenter Controlletti, der zu gelegentlichen Rückfällen neigt. So what? Das ist Leben.