Ich mute dir dein Schicksal zu

In der systemischen Arbeit gibt’s viele Sätze, die mit wenigen Worten ganz viel sagen. „Ich mute dir dein Schicksal zu“ ist einer davon. Klingt ja erst mal nach nicht viel, oder?

Wenn es aber um die Hauptfrage geht: Entscheide ich mich für mich im Leben oder stelle ich meine Bedürfnisse zurück?,  dann kommt genau dieser Satz zum Tragen. Ich frage meine Patienten manchmal, ob sie an erster Stelle in ihrem Leben stehen. Noch nie hat jemand diese Frage mit JA beantwortet. 

Die meisten von uns sind eng mit Familie oder Freunden oder Partnern verstrickt, so eng, das sie das nicht erkennen können. Ja es wird sogar als ungesund angesehen, wenn ich mich um mich selbst kümmere und den anderen zugestehe, das sie das auch tun.

Das ist unbequem. Eigenverantwortung tut weh – zumindest am Anfang. Da wird schnell die Egoismuskeule rausgeholt, um auch nur den kleinsten Ansatz eigenverantwortlichen Handelns zu unterbinden. 

Bist du in einer Familie gross geworden, die keine Grenzen kennt? Jeder sitzt dem Anderen in der Tasche, und jeder meint, sich einmischen zu dürfen. Da ist es schon fast ein revolutionärer Akt, seine Grenzen klar zu machen und einzufordern, dass sich alle dran halten.

Jeder von uns hat ein Recht auf Privatsphäre und eigenes Erleben.

Verstrickte Familienverhältnisse sind ja eher die Norm als die Ausnahme. Ein Verhalten, das in der Vergangenheit das Überleben der Sippe gesichert hat, wird nicht weiter hinterfragt und einfach weitergegeben. Zu der Zeit an dem Ort war es damals sicher richtig und ist heute unter anderen Umständen falsch. Jede folgende Generation macht das nach und ist ein wenig extremer als die davor. Das Interesse und die Entwicklung eines Individuums wird unwichtig. Hauptsache alle verhalten sich so „wie das in der Familie als normal!!! angesehen wird“.  

Jedes System versucht sich selbst zu regulieren. Und dabei geht’s selbstverständlich nicht allen gut. Es gibt immer welche, die mehr fühlen und auch mehr tragen in dem Versuch die Balance für alle zu halten.

Aber irgendwann bricht auch der gutmütigste Mensch unter der Last zusammen. Das sind dann die Menschen, die Symptome entwickeln. 

In meiner Familie war ich das. So sehr ich dazugehören wollte, mein Inneres hat das nicht erlaubt. Ich musste mich zwischen totaler Selbstaufgabe und Therapie entscheiden. Ich werde nie vergessen, das ich mit allem was ich hatte darum gekämpft habe mich doch bitte weiter opfern zu dürfen. Klingt paradox, weil ich ja gefühlt habe, das ich nicht mehr kann. Aber dieses Verhalten war das Einzige, was ich kannte. Es hat mir Sicherheit gegeben. Es war vertraut.

Ich hab das sehr sehr ungern und unter vielen Tränen losgelassen in allen Bereichen meines Lebens. Schnell ging da nix. Wie auch, hab ich doch drei Viertel meines Lebens so verbracht. Und es ist völlig normal gelegentlich in die alten Muster zurückzufallen solange bis du die wirklich nicht mehr brauchst, weil sie durch neue gesündere Verhaltensweisen ersetzt wurden.

Jetzt auf der anderen Seite bin ich immer wieder auf’s Neue erstaunt, wie leicht LEBEN geht. 

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